Corpus Musicae Ottomanicae

Osmanische Musik

Die klassischen arabischen Musikstile unterscheiden sich ganz wesentlich von europäischen Musikformen, vor allem hinsichtlich Tonsystem, rhythmischen Strukturen und der Bedeutung von Improvisation und Gesang. Die klassische türkische Musik bildet innerhalb der orientalischen Musikgeschichte eine eigenständige Musikkultur.

Das praktische Repertoire dieser osmanischen Musik ist in schriftlichen, bisher kaum erforschten Quellen überliefert. Das im Jahr 2015 gestartete DFG-Langzeitvorhaben Corpus Musicae Ottomanicae (CMO) widmet sich diesem Forschungsgebiet und erstellt eine kritische Edition wichtiger Musikhandschriften aus dem Vorderen Orient.

In dem Verbundprojekt kooperieren das Institut für Musikwissenschaft in Zusammenarbeit mit dem Institut für Arabistik und Islamwissenschaft der Westfälische Wilhelms-Universität Münster und das Orient Institut Istanbul (OII) der Max Weber Stiftung (MWS) sowie der Publikationsplattform der MWS (perspectivia.net) und der Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (VZG).

Digitale Musikeditionen

Die kritische Edition der Quellen erfolgt auch durch eine digitale Transkription der handschriftlichen Notenaufzeichnungen. Dabei wird die in der osmanischen Kultur entwickelte Hampartsum-Notation in die im europäischen Kreis bekannte westliche Notation übertragen. Für die digitale Kodierung und Auszeichnung von Noten existiert ein internationaler Standard: das von der Music Encoding Initiative (MEI) und der Community entwickelte XML-Schema. Es lehnt sich konzeptuell eng an die Text Encoding Initiative an. Anders als bei der Transkription von Text, der lediglich von XML-Elementen umfasst wird, wird bei der Musikcodierung jede Note in ein XML-Element umgewandelt. Für die Erschließung und Analyse der Quellen ist jedoch die Anreicherung mit Metadaten (MEIHeader) und Kontextualisierung mit anderen Quellen und Personen ebenso entscheidend. Das CMO-Projekt baut daher einen umfangreichen Katalog an gedruckten und handschriftlichen Quellen, Musikstücken, Komponisten, Lyrikern und Literatur auf.

Abbildung: CMO - Manuskript in Hampartsum-Notation (Ms. 203-1, Istanbul University Library of Rare Works)

Komplexe Anforderungen

Für die genuin digital konzipierte Edition ergaben sich daher eine Vielzahl an Anforderungen für die Publikation und Präsentation der Dokumente und Forschungsdaten. Ein webbasiertes Portal sollte die verschiedenen Informationsobjekte und Zugriffswege abbilden und umsetzen:

  • Als Publikationsplattform für die mehrbändigen Werke der kritischen Edition, die jeweils aus Rahmentexten, Transkription, kritischem Kommentar sowie der Edition der Liedtexte zu den verschiedenen Musikstücken bestehen
  • Als webbasierte Datenbank für die Erfassung des Katalogs der Musikstücke, Quellen, Personen und Literatur zum Forschungsgebiet, inklusive einer vollständigen Abbildung des Datenmodells, Erfassungsmasken für jeden Entitätstyp und kontrollierten Vokabularen
  • Als Präsentationseite und Analyseinstrument für den Datenbestand mit mehrstufigen Suchmasken, Facetten, Browsing, Ergebnissammlungen sowie einer HTMLRepräsentation und XML-Schnittstelle

Zwar ließen sich diese Anforderungen mit jeweils getrennten Komponenten umsetzen (z.B. Dokumentenserver + XML-Datenbank + Webframework), aber die Umsetzung in einer kohärenten Umgebung unter einer einheitlichen Oberfläche war mit keiner der im Umfeld von perspectivia.net eingesetzten oder bekannten Infrastrukturkomponenten möglich.

Kooperative Portalentwicklung

Die komplexen Anforderungen erforderten konzeptionelle Entwicklungsarbeit und machten damit eine einfache Auftragsvergabe an einen Softwaredienstleister äußerst schwierig. Somit stand perspectivia.net nicht nur vor der Herausforderung, eine Softwarelösung zu finden, sondern auch einen Partner zu finden, der im Rahmen einer Kooperation die Umsetzung leisten konnte. Viele Wege führten das CMO-Projekt schließlich zur VZG, mit der verschiedene Institutsbibliotheken der Max Weber Stiftung zusammenarbeiten und die bereits ähnlich komplexe Vorhaben umgesetzt hat sowie mit dem MyCoRe-Framework eine passende Softwarelösung im Portfolio hat. So ist es in einem gemeinschaftlichen Projekt gelungen, innerhalb nur eines Jahres das Portal corpusmusicae-ottomanicae.de in die Produktivphase zu bringen. Die enge Zusammenarbeit zwischen den Bereichen der Fachwissenschaft, der Datenmodellierung, der Softwareentwicklung und der Gestaltung bildete die Grundlage für die nun passgenaue und langfristige Projektinfrastruktur.

Das Potential von MyCoRe

Das MyCoRe-Framework kann als vollwertiger Dokumentenserver die informationswissenschaftlichen Anforderungen an eine Publikationsplattform vollständig erfüllen. Dank des flexiblen und XML-basierten Datenmodells konnte das MEI-Schema nativ implementiert werden und die individuell gestaltbare Oberfläche sowie das Rechtemanagement erlaubten die Umsetzung der Recherche- und Analysefunktionen. Die stringente Datenmodellierung und die Systemarchitektur der Software führen dazu, dass das Projekt die FAIR-Data-Prinzipien nahezu vollständig umsetzen kann. Das innovative Konzept erlaubt einerseits eine logische Trennung zwischen dem stetig erweiterten Quellenkatalog und den als wissenschaftliche Publikationen unveränderlichen Editionsbänden und kann andererseits beide Sammlungen unter einer Oberfläche repräsentieren und auf Objektebene miteinander verknüpfen.

Screenshot: Screenshot des CMO-Portals

Weiter im Takt

In der zweiten Projektphase wird das Portal noch stärker in die Arbeitsprozesse des Editierens eingebunden sein. Wenngleich viele Funktionalitäten schon umgesetzt wurden, ist weiterer Bedarf an Entwicklungsarbeit bereits identifiziert. Hierzu zählen die intelligente Verknüpfung von Edition und Katalog, die Optimierung der Repräsentation komplexer Informationszusammenhänge und nicht zuletzt die Möglichkeit, die bereits vorhandenen Metadaten der Stücke mit den codierten Noten zu vollständigen MEI-Datensätzen (Header + Body) zusammenzusetzen. Folgerichtig ist die VZG in dieser zweiten Phase ein fester Partner im CMO-Projekt.

[erschienen in VZG Aktuell 2019 Ausgabe 1 ]